Dienstag, 31. Dezember 2013

Auf der anderen Seite


Jetzt habe ich schon lange nicht mehr genörgelt - der Grund ist genauso banal wie überraschend: ich bin nicht mehr arbeitslos ... So weit so gut, wäre da nicht eine kleine aber sehr bedeutsame Tatsache ... Ich traue es mich gar nicht sagen und schon gar nicht schreiben ...
Ich stehe jetzt auf der anderen Seite. So - jetzt ist es heraussen!
Zwar leite ich keine Kurse, dennoch bin ich jetzt Arbeitsvermittlerin und verteile gute Ratschläge und versuche möglichst wenige Arbeitslose in Sinnloskurse zu verbannen.
Doch das ist nicht so einfach wie es klingt. Diese Kurse werden im Vorhinein gekauft und müssen dann besetzt werden. Erschwerend kommt hinzu, dass man hier jeden Tag auf Menschen trifft, die nicht wissen wohin es beruflich gehen soll. Oft ohne Ausbildung oder mit überzogenen unrealistischen Vorstellungen und ohne Berufserfahrung. Und ich rede nicht von MigrantInnen, allein-erziehenden Müttern, Menschen mit physischen oder psychischen Einschränkungen oder ältere AnwerberInnen, sondern von Opfern des Bewerbungsalltags, die mit jeder Absage ein Stückchen näher in Richtung Depression und Motivationslosigkeit schlittern. 
Jetzt ist es ein kleines Stück an mir, es besser zu machen. Das habe ich meiner damaligen Arbeitsvermittlerin versprochen als sie mich auf den Blog angesprochen hat. Sie war zu Recht sehr erbost darüber, denn ich hatte keine Ahnung wie schwer dieser Job ist. Sich beschweren kann jeder - es besser machen nicht! Ich werde diese Chance nützen und mir meinen Sarkasmus für mein Burn-out aufheben.

Montag, 8. Juli 2013

Lügen und andere Lebensläufe

Ein Teilnehmer teilte unserer Gruppenleiterin selbstsicher mit, dass alle Anwesenden Profis im Lebenslauf schreiben wären. Obwohl die bittere Wahrheit mir auf der Zunge brannte, schluckte ich sie hinunter, anstatt sie lauthals auszuspeien. Für so viel Aufsehen war sie nicht würdig genug, oder ich war (noch) zu sehr Debütantin im Selbstbelügen. Fateo: ich bin kein Profi in Eigenwerbung, dafür stinkt mir Eigenlob zu sehr! Lebensläufe sind reines Selbst-Marketing, garniert mit hochprozentigen Übertreibungen und zarten Lügen.
Selbst die vereinzelten Tatsachen, die unverrückbar scheinen, schaden mir mit einem hönischen Grinsen der Veritas. Am Anfang steht die Geburt und mit ihr der Auftakt der Vorurteile: Denn nicht in Österreich geboren zu sein, wirkt nachhaltig wie ein Strafbestand. Wäre mein Geburtsort ein schicker Mode-Staat, käme ich noch glimpflich davon. Doch mich selbst schriftlich mit Terroristen und anderen vorgefassten Stereotypen in Assoziation bringen zu müssen verunsichert mich. Versuche ich mich damit zu verteidigen, dass ich bereits als Baby emigriert wurde, brennt man mir ein Migranten-Tatoo ein.
Der nächste Stolperstein, der mich zu erschlagen droht, ist mein Alter: Im besten Falle unterstellt man mir Gebärfreudigkeit und zwinkert mir beim Vorstellungsgespräch freundlich zu, dass ich ja sicher bald Kinder möchte. Unter den Tisch fällt der unausgesprochene Satz "Karenz kann sich unsere Firma nicht leisten" und wird zu meinem persönlichen Salto mortale. Aber zu meist bin ich ohnehin "zu alt", denn die gewünschte eierlegende Wollmilchsau ist 25 mit 10 Jahren Berufserfahrung.
Um der Wahrheit gerecht zu werden, müsste ich bei Geburtsort: "Kosmopolitan" schreiben dürfen. Und beim Geburtsdatum: 01.01. 2013; denn ich erfinde mich immer wieder neu, enwickel mich stetig weiter und habe so viel Energie und Wissensdrang wie ein gesunder Welpe.
Doch die erste Spalte bleibt den vertrockeneten Fakten verhaftet, im Ausgleich darf im Folgendem so viel geflunkert werden, wie Papier und Bildschirm erträgt. Da wird gebogen und gebrochen, verdreht und stilisiert, ausgeschmückt und umgedichtet bis einem die eigene Mutter nicht mehr wieder erkennen würde.
Um nur ein Beispiel von vielen anzuschneiden: Jede/r AMS- Berater/In rät, bei Fähigkeiten möglichst viele Sprachen anzuführen. In disputio: Perfektes Englisch + Französisch, Russisch in Wort und Schrift, usw. So kommt es, dass man den LB eines guten alten Freundes liest, und aufgrund seiner unglaublichen Talente ehrfurchtsvoll zu Boden sinken möchte. Beim 2. Bier erfährt man dann, dass es sich um lapidare Grundkentnisse aus der Schulzeit handelt, die ein wenig verbal aufgemotzt worden sind und die Job-Suche zur Mythomanie geführt hat. Folge ich diesem Usus, müsste ich sofort mit "Ausgezeichnete Englisch-, Französisch-, und Italienischkentnisse zu Felde ziehen. Nicht zu vergessen sind, in diesem Sinne, auch meine Türkei-Urlaube: Immerhin kann ich "Ich liebe dich" und "Wieviel kostet das" - mehr als mein alter Freund auf russisch!
Kaum auf Papier verewigt, sticht mich die Pathetik meiner Worte in meine Brust. Wieso darf ich nicht die Wahrheit schreiben? Sprachkentnisse: Multi-langual. Bis jetzt konnte ich mit jedem Lebewesen auf jedem Kontinent und in jeder Situation erfolgreich kommunizieren. Auch wenn das geheißen hat, dass ich mit vollem Körpereinsatz und Empathie sprechen musste - so war das doch immer noch ehrlicher als diese Lebenslauf-Finte!
  

Montag, 3. Juni 2013

Das Letzte

"Das Beste kommt zum Schluss", sagt der Volksmund - und deshlab freue ich mich auf meinen letzten Kurstag- nur damit keiner auf die Idee kommt, ich freue mich, weil das Disaster bald endlich zu Ende ist!
An diesem allerletzten Tag hat es die Kursleiterin wohl endgültig aufgegeben uns motivieren zu wollen oder irgend etwas anderes. Sie schiebt einen Film in den Rekorder und dreht auf volle Lautstärke. Enttäuscht nehme ich sofort die Schlafposition ein und wundere mich über die Film-Auswahl. "Meine Frau, ihre Schwiegereltern und ich" ist zwar auch beim 2.Mal anschauen lustig, aber was genau hat die Thematik mit Job-Suche zu tun?  Was können oder sollen wir von den Fockers lernen?
Gehofft hatte ich auf, die am Anfang angekündigte "Wie sehen wir uns und wie sehen uns andere?" Runde, aber dieses Spiel muss ich wohl alleine spielen, denn sie verlässt wortlos den Raum und lässt uns mit unseren Gedanken und De Niro, Stiller und Streisand alleine.
Aber so schnell gebe ich nicht auf und wende mich an meinen Sitznachbar. Ich will wissen, wie er mich sieht und bereue die Diskussion schon bald, die ich entfache. Hier hat wohl jeder eine Meinung von mir und tatsächlich gefällt mir keine einzige davon. Tja, selber schuld, hätte ich sie nur schlafen lassen ... .
Karl, der ehemalige Pilot und jetzt unbezahlter Dauerredner sieht in mir die "ideale Lehrerin", meinen skeptischen Blick will er mit Argumenten wegwischen á la "Du bewahrst die Mädchen vor der Magersucht". Na gut, vom Verhungern bin ich noch weit entfernt, aber ansonsten fehlen mir alle anderen wichtigen Eigenschaften einer Lehrperson (meiner Meinung nach), aber bei ihm kommt man nie zu Wort. Also lasse ich ihn reden, bis er überzeugt davon ist, dass ich morgen in der nächsten Schule anfange. Der schweigsame Martin erkennt die "Tierpflegerin" in mir und Tarkan die "Millionärsgattin". Dass ich schon glücklich verheiratet bin, erschüttert ihn wenig in seiner Argumentation. "Was glaubst du wie lange es noch dauert, bis die Arbeitslosigkeit die Scheidung herbeiführt? Das ist doch immer so: zuerst den Job verlieren, dann die Freunde, dann den Partner." Na dass sind ja Aussichten! Obwohl ich von meinen Zukunftsanalysen der Anderen bereits genug habe, hat Olaf (den ich bis jetzt immer sehr gerne hatte, doch das hat sich hiermit erledigt!) noch eines drauf zu setzten: "Weißt du, warum so wenig Frauen beim AMS sind, aber so viele Männer? Weil Frauen ja immer die Möglichkeit haben viel Geld zu verdienen." Ich hätte auf die Toilette verschwinden sollen, anstatt mir das anzuhören, aber ich war wieder einmal zu höflich. "Also wenn ich eine Frau wäre, würde ich das so machen. Damit verbindest du zwei tolle Dinge aufeinmal: Sex und Geld verdienen. Was gibt es Schöneres?" "Prostitution als letzte Chance" wäre ein großer Schritt Richtung Scheidung - damit würde ich gleich zwei Zukunfts-Prognosen auf einmal erfüllen (aber wer will das schon?)
Gott-sei-dank, hat Egon, der Jurist, auch noch etwas zu sagen. Ich werde mit diesem Blog berühmt werden und viel Geld verdienen, dass ich dann auch brauchen werde für einen Anwalt. Denn wenn das AMS das liest, werden sie mich verklagen. Egal wie ich meinen Kopf drehe und wende - auf jeder Seite nur trübe Aussichten. Nur gut, dass die Kursleiterin mitten drin den Film wieder abdreht: ein "Open-End" sozusagen. Ich deute das als Zeichen- so hat meine Zukunft auch noch ein "Open-End"
 

Sonntag, 26. Mai 2013

Pünktlichkeit und andere Fehler


Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben - im AMS-Kurs scheint dieser Spruch außer Wirkung gesetzt worden zu sein - leider ohne mein Wissen.
Dieser Kurstag beginnt genauso schwierig wie er aufhören wird. Nämlich in aller Frühe "Morgenstund hat Kaffee im Mund" (für Arbeitslose gibt es kein Gold!), pünktlich wie immer, nur leider diesmal als Einzige. Als ich den Kursraum betrete, taumle ich erschrocken zurück. Irgendetwas sah die letzten Male anders aus ... Ach ja, die Kursteilnehmer und die Leiterin. Verwirrt und schlaftrunken wanke ich zur Information, um zu erfahren, dass ich mich weder im Raum noch mit dem Datum vertan habe. Also an mir liegt es nicht - doch was nützt mir das, wenn in meinem Kursraum ein völlig anderer Kurs stattfindet. Tatsächlich überlege ich, ob das nicht meine Chance sein könnte, einer sinnvolleren Tagesbeschäftigung nachzugehen, wie bügeln oder Katzen streicheln. Doch ich beschließe mir noch einen Kaffe zu holen (vielleicht war der vorige versehentlich koffeinfrei) und den Gang entlang zu schlendern, auf der Suche nach einem bekannten Gesicht. Aber ich bleibe mutterseelen allein, sogar die Herren-Toilette suche ich nach heimlichen Rauchern aus meinem Kurs ab. Nach einer viertel Stunde trippel ich mit gesenktem Kopf - es ist einfach zu peinlich - wieder zur Information um leise zu wimmern "Im Kursraum 5 sitzt eine völlig andere Gruppe und meine Gruppenleiterin ist nicht aufzufinden." Dabei komme ich mir wie ein kleines Kind vor, das sich verlaufen hat. Rufen die jetzt meine Mama aus, damit sie mich abholt? Die Rezeptionistin wirkt überfordert, das stand wohl nicht in ihrer Job-Beschreibung. Dreimal muss ich ihr mein Problem schildern, bis sie kopfschüttelnd in der Direktion verschwindet. Heraus kommt Napoleon mit wehenden Nasenhaaren und polierter Glatze, schleift mich zum Kursraum 5, reißt die Tür auf und brüllt "Das ist nicht ihre Gruppe, so, so?! Ihnen werd ich Ihre Albernheiten schon abgewöhnen!" Zwanzig ahnungslose Augen blicken uns entgeistert entgegen, und ein, mir unbekannter Kursguru flötet mit sanfter Stimme "Ist irgendetwas nicht in Ordnung?" Direktor Napoleon zieht seine angeschwollene Gorilla-Brust wieder ein und fragt, was Gruppe 8 im Kursraum 5 zu tun hat. Es stellt sich heraus, dass Guru 8 den Raum 5 viel spiritueller fand und ihn außerdem leer vorfand und daher umzog. Wo Gruppe 5 ist, weiß auch er nicht. Ich und meine Albernheiten sind aus dem Schneider, für so viel Gruppen-umzugs-dynamik kann ich wirklich nichts. In dem Moment erscheint meine Kursleiterin und macht genauso ein verdattertes Gesicht wie Napoleon. Einmal verschläft sie und schon nimmt man ihr den Kursraum weg! Und wo sind ihre Teilnehmer-hat man die ihr auch weggenommen? (als würde uns irgend jemand freiwillig nehmen ...) Mit ihrem hysterischen Geschnattere schafft sie es, das Zimmer in Kürze zu leeren und hocheitsvoll ihren alten Thron einzunehmen. Langsam trudeln auch die anderen ein, es hat wohl eine Verschwörung der Wecker gegeben, keiner außer meinem hat rechtzeitig geläutet. Man könnte jetzt erwarten, dass sie alle zu-spät-Kommenden einträgt oder zumindest tadelt. Aber die Raumbesetzung und die poltische Einmischung Napoleons belasten sie und sind für sie ein weiterer Beweis, dass Frauen von Männern immer noch am Arbeitsplatz unterdrückt werden. Da keiner so genau wissen will, was sie damit meint oder wie sie darauf kommt, schweigt jeder und hofft, dass ihr das als Zustimmung reicht. Wäre ich nur gegangen, als ich noch konnte - oder noch besser: hätt ich nur verschlafen! Denn heute habe ich nur gelernt, dass Pünktlichkeit manchmal auch bestraft wird ...

Donnerstag, 16. Mai 2013

Meine Artgenossen und andere Arbeitssuchende


Da die heutige Mision unserer Vortragenden lautete, uns die Selbstständigkeit andrehen zu wollen "Es ist ja soooo einfach" ( ... uns aus der Arbeistlosen-Statistik hinauszuschieben), musste ich mir für die heutigen acht Kurs-Stunden eine andere Beschäftigung zulegen. Schlafen empfand ich als zu ehrlich, Zeitung lesen als zu unhöflich und im Internet surfen war wegen technischer Probleme nicht möglich. So unterzog ich die anderen Teilnehmer einer genaueren Untersuchung, damit ich nicht ständig nur über die Kursleiterin schlecht schreiben muss. (Namen wurde natürlich von mir geändert, sonstige Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind nicht zufällig und rein beabsichtigt.)
Karl, ein ehemaliger Pilot, ist für zahlreiche Fluglinien geflogen, die alle in Konkurs gegangen sind. Als verständnisvoller Zuhörer will man ihm nicht die Schuld daran geben, aber unwillkürlich denkt man doch, dass er wohl Unglück bringt. Als er von seiner eignen Fluglinie erzählt, stempel ich ihn als Hochstapler ab, noch dazu, weil er ständig betont, dass er keine Namen nennen darf (nicht einmal von seiner eigenen Firma?). Szenen aus "Catch me if you can" flackern vor meinen Augen auf und ich nenne ihn in weitere Folge nur noch Senior Abagnale.
Martin dagegen ist ein wahrer Tiefstapler. So tief, dass er überhaupt nichts von sich erzählt. Beharrlich schweigt er zu jedem Thema und hat nie das Bedürfniss sich kund zu tun oder sich wenigstens einmal über diesen Kurs aufzuregen. Offensichtlich nimmt er Beruhigungsmittel und ich nehme es ihm übel, dass er Karl nie welche anbietet. Vielleicht ist es aber auch nur seine Art des Protest -ein stummer Querulant sozusagen.
Tarkan sucht eher eine neue Frau, als einen neuen Job, da er sich lieber auf Single-Seiten herumtreibt als auf Job-Portalen. Als ich mich einmal nicht zurückhalten kann und missbiligend den Kopf schüttel, erklärt er mir inbrünstig, dass er eine alte Millionärin sucht, die ihn aus dieser Misere herausholt. Er hat das mit der "Vision, die nichts mit der Welt zu tun hat" (unsere Kurshymne) sehr ernst genommen. Man kann ihm keinen Vorwurf machen, dass er anfällig für diverse Glaubenssätze aus dem Kurs geworden ist - 2 x 8 Stunden pro Woche Gehirnwäsche hinterlassen eben ihre Spuren.
Mit Egon, dem Juristen, vermeide ich jedes Gespräch, da er einem das Wort im Munde umdreht. Eine alte Berufsangewohnheit. Wäre er noch Anwalt im Dienst, würde ich ihn sofort als Strafverteidiger wählen (falls ich einen brauchen sollte), doch er hat sich für "die Gerechtigkeit entschieden". Mit Tränen in den Augen schildert er gerne jeder/m Zuhörer/in gesetzliche Mißstände und andere juristische Fallstricke. Es gibt keine Gerechtigkeit vor Justitia und er möchte kein Geld mehr von Kriminellen nehmen. Obwohl sein Maßanzug Seriösität ausstrahl, tun es seine Erzählungen nicht. Irgendetwas an seiner Geschichte stinkt gewaltig, aber ich habe zu wenig Kaffee getrunken um mich auf einen rethorischen Disput mit ihm einzulassen.
Tatsächlich gibt es etwas, das man von ihnen lernen kann: von Karl, die Methode, einfach niemanden ausreden zu lassen und das Gegenüber mit Erfolgsgeschichten zuzutexten, bis man vergessen hat, was man sagen wollte. Von Martin, die buddistische Widerstandstrategie: einfach nichts zu sagen, bis der Andere einschläft. Von Tarkan wie man sich (als Frau) vor einem Vorstellungsgespräch stylisch pimpt und soviel Blödsinn redet, bis man Mitleid mit ihm hat. Und von Egon, dass keine Gerechtigkeit zu erwarten ist, möge kommen, was wolle und nur keine Aussage von ihm offen anzweifeln, sonst wird man mit Paragraphen beschossen.
Danke liebe Mitleidende!
    

Montag, 13. Mai 2013

Lebt Euren Traum!


Heute dürfte unsere Gruppenleiterin besonders postiv gelaunt sein, denn obwohl wir ihre "Ooohhmg-Stimmübungen" verweigert haben (für Joga war der Raum gottseidank zu klein), schwärmt sie uns von unseren unbegrenzten Möglichkeiten vor. Zwischen Ratschlägen wie "Jeden Tag in den Spiegel schauen und uns selbst laut vorsagen, wie super wir nicht sind" und "bei einem Vorstellungsgespräch kurz vorher auf die Toilette zu gehen, um dort das Lächeln zu üben und unsere Energiebahnen frei zu klopfen" gibt es auch noch Einkaufstipss von Hofer. Ach ja, und bei Lidl ist der Wein Soundso im Angebot, der laut ihrer Aussage besonders köstlich ist. Das ist doch ein weiterer guter Grund mit dem Saufen anzufangen! Aber vorher brauche ich noch ein Aspirin, denn meine Kopfschmerzen verursachen derart ohrenbetäubenden Tinnitus, dass ich die weiteren Sonderangebote von Ziepunkt nicht mehr höre. Zugegebenermaßen, Arbeitslose hätten genug Zeit um sich über alle Rabatte und Aktionen zu informieren - aber ist das wirklich das Sinnvollste, dass wir zur Zeit machen können? Atmen und Schnäppchen jagen? Ach ja, und lächeln - falls uns unterwegs unser Traumchef über den Weg läuft (das Universum weiß ja jetzt über unsere Wünsche bescheid) oder wir doch an der Kassa enden. Tatsächlich wage ich zu fragen, ob jemand in der Gruppe weiß, ob man bei Hofer oder Zielpunkt als Kassiererin mehr verdient, bereue mein praktisches Denken aber sofort. Ein stechender Blick straft mich sofort und trifft tief in mein Herz. "So weit kommt es noch, dass Akademiker an der Kassa sitzen!" Bei so viel Naivität muss ich lächeln - auch betrunkene Schnäppchenjäger brauchen Geld zum Shoppen. Als Buße muss ich einen Vortrag über Visionen über mich ergehen lassen. "Unser Traumjob wartet doch draußen auf uns!" Wieso sitzen wir dann noch drinnen?
Einen Notfallsplan hat sie auch für uns parat: Wir müssen nur etwas Geniales erfinden, dann haben wir ausgesorgt. So einfach ist das! Diese Simplizität erweckt meinen zynistischen Kampfgeist: Meine AMS-Beraterin hat mich hergeschickt, damit ich realistischer werde. Und mit Realismus meint sie, meine mangelnde Bereitschaft für unbezahlte Praktika oder Arbeitsstellen im Ausland. Für ein paar Sekunden kann ich mit dieser Aussage ihren Redefluss unterbrechen. Doch sie scheint eine unbeirrbare innere Quelle zu haben, bei der es sofort wieder heraus sprudelt: "DU bist bereit für deine Berufung, die nichts mit der Welt zu tun haben muss!" Nur mühsam kann sie sich selbst zurückhalten um nicht auf den Tisch zu springen als sie ruft: "Lebt Euren Traum!"   Na dann, gute Nacht!

Freitag, 10. Mai 2013

Großes Kino

Was macht man bloß mit neun gelangweilten Arbeitslosen in einem ACE-Kurs? Vor allem, wenn es schon am ersten Buchstaben "A für Aktivierung" scheitert, denn müder und deaktivierter könnten wir nicht dreinschauen. Das hat sich die Kursleiterin sicherlich gefragt, als sie zu dem Schluß kam uns vor den Fernseher zu setzen. Das Gefühl, wie ein kleines Kind vor der Glotze abgeschoben zu werden, weil kein Babysitter zur Hand war, beschleicht einen schon ...
Dafür hat ja die Birkenbihl soviel mütterliches, wenn sie sagt, dass man ihr nicht alles glauben muss. Oder der Molcho als Vatererstaz, wenn er seine Kunden sekundenschnell durchschaut, weil sie ihre eigene Körpersprache nicht richtig verstellen können. Bei Robert Betz steigen wir auf die Barikaden -  morphogenetische Feld, kollektives Unterbewusstsein und die universelle Spiritualität sind einfach zu hoch für uns - promt werden wir mit dem "Gesetz der Resonanz" bestraft. Jetzt weiß ich wenigstens, dass mein Herz ein Magnet ist und nur meine elektrischen Schwingungen an allem Schuld sind. Zumindest ist ein Sündenbock gefunden, doch was nützt uns diese Erkenntnis? All diese Filme haben eines gemeinsam- es wird mit keiner Silbe erwähnt, wie man was besser machen sollte. Na ja, gut: also du sollst dich selbst lieben. Du sollst an dich selbst glauben. Und dir dann einfach vorstellen, was du dir wünscht - und deine Elektrizität macht das dann schon für dich. Also, geladen genug wär ich ja- und Wünsche habe ich auch ausreichend. Doch irgendetwas hat überhaupt nicht funktioniert. Oh, Schuld ist meine Kindheit und dass ich all das nicht ablegen kann. So so. Jetzt bin ich wieder schuld. Fazit: Der schwarze Peter wurde mir wieder geschickt zugeschanzt, übrig bleibt mea culpa maxima und das schlechte Gefühl alles falsch gemacht zu haben - inklusive meine Eltern, Großeltern, Lehrer und meine Schutzengel.
    "Erwartet nicht zu viel von dem Kurs," war die Entschuldigung. Ganz in diesem Sinne schlug unsere Kursleiterin vor, wir sollen uns doch gegenseitig Vorträge halten, ihr fehle die nötige Ausbildung dafür. Wieso überkommt mich dabei der Gedanke, dass das AMS lieber Kurse für Kursleiter/Innen veranstalten sollte als für arbeitslose Akademiker/Innen?